Dienstag, 3. Juli 2012

Südtirol 2012 - Grenzüberschreitender 'Stundenweg' von Kloster zu Kloster im Münstertal

Kloster St. Johann in Müstair, Münstertal
Nach dem gestrigen Wettereinbruch im gesamten Alpenraum ist heute das Wetter für das Hochgebirge noch zu unsicher. Wir bleiben in Talnähe und entscheiden uns für neue Erfahrungen. Seit wenigen Jahren ist ein neuer Wanderweg eingerichtet, der als 'Stundenweg' einer alten Kulturstraße durch das Münstertal folgt. Startpunkt ist das Kloster St. Johann in Müstair, dessen Gründung auf das Jahr 770 zurückgeht und als Stiftung Karls des Großen gilt. Seit 1983 ist das Kloster ein UNESCO-Weltkulturerbe.
Zielort des Wanderweges ist die 370 Jahre später als Spin-off des Klosters Ottobeuren gegründete Benediktiner-Abtei Marienberg oberhalb von Burgeis. Die mächtige Klosteranlage im oberen Vinschgau birgt bedeutende kulturelle Vermächtnisse. Dem Kloster ist in der Gegenwart nicht anzusehen, dass es nicht nur über viele Jahrhunderte ein Zankapfel politischer Mächte war, sondern auch einige Katastrophen überstanden hat. Link: Fotoserie Stundenweg 



Etappe am 2.07.2012 

Zwischen Mals und Zernez in Graubünden verkehrt eine Schweizer Postbuslinie, die uns von Glurns nach Müstair im Münstertal bringt. Nachdem wir bereits Tickets für 5 SFR (ca. 4 €) gelöst haben, erklärt uns der Fahrer, dass die Fahrt bis zur Grenze nur 1,50 SFR kosten würde und unser Ziel nur 700 m weiter liegt. Er hätte besser nichts gesagt, denn jetzt ärgern wir uns erst einmal.

Kloster St. Johann in Müstair, Münstertal (Graubünden)
In Müstair hält der Bus direkt beim Kloster. Das Kloster wurde in karolingischer Zeit um das Jahr 770 durch den Bischof von Chur gegründet und von Benediktinern errichtet. Als herausragende Kostbarkeit in der Klosterkirche St. Johann von Müstair gilt ein Bilderzyklus karolingischer Fresken, der spätantike und byzantinische Einflüsse zeigt. Da wir einen langen Weg vor uns haben, begnügen wir uns heute mit einem kurzen Rundgang durch das Kloster und beschließen, eine ausführlichere Besichtigung nachzuholen.
Der Stundenweg startet aus Talsicht hinter dem Kloster. Die Stationen des Stundenweges stehen für die 24 Stunden eines Tages. An jeder Station ist eine Tafel aufgestellt, die sich jeweils einem anderen Thema widmet. Die Inhalte der Tafeln halten sich nur in Ausnahmefällen mit kleinteiligen Informationen auf und variieren stattdessen vermeintlich besinnliche und nebulöse Gedankenblasen über die Vielfalt in der Einheit des großen Ganzen.


Blick vom Stundenweg auf Müstair im Münstertal
Der erste Abschnitt des Weges führt zunächst nur wenig ansteigend durch kultivierte Wiesen, an die Getreidefelder anschließen. Weiße „Lockpfosten“ machen mit verfremdenden Schlagworten jeweils in Dreiergruppen auf sich aufmerksam. Die Texte unter den Schlagworten ergänzen die besinnlichen Ansprachen der Stundentafeln.












Blick auf Taufers und Müstai
Vom offenen Talgelände leitet der Weg in Richtung Taufers entlang der bewaldeten westlichen Bergflanke, an der ein steiler Anstieg beginnt. Ca. 400 m über Taufers liegen die Burgruinen Reichenberg und Rotund, die wir auf kurzer Distanz erreichen. An der Burgruine Rotund ist der höchste Punkt des Weges erreicht. Jetzt haben wir uns erst einmal eine Pause verdient und genießen die Aussicht auf das Münstertal.








Burgruine Rotund
Burgruine Reichenberg
Die Burgen befinden sich an strategisch bedeutenden Punkten alter Alpenwege und zählen zu den ältesten und höchstgelegenen Burgen Tirols. Die Bischöfe von Chur ließen um das Jahr 900 die Burgen errichten, um sie als Residenz zu nutzen. 1150 gaben sie die Burgen an die Edlen von Rotund und die Freiherren von Reichenberg, die 1288 auch die Burg Rotund übernahmen. Wenn das Kriegshandwerk nicht genug abwarf, betätigten sich die Reichenberger Burgherren als Raubritter. 1274 überfiel Schweikhard von Reichenberg die Abtei Marienberg und machte reiche Beute. Für den Abtransport der Beute waren 12 Fuhrwerke erforderlich. Auf der Stundentafel erfahren wir, dass bisweilen Gerechtigkeit zu bestehen scheint: Schweikhards Raubgefährte, Friedrich von Ramüs, kam in Glurns ums Leben. Er starb bei einem Überfall auf den Vogt Egino III. von Matsch. Schweikhard von Reichenberg starb durch einen Tritt seines Pferdes. Wenn hier tatsächlich das Wirken von Gerechtigkeit zu erkennen sein sollte, darf angemerkt werden, dass die deutliche zeitliche Verzögerung zwischen der Tat und späteren Ereignissen bestenfalls auf eine alttestamentarische Auffassung von Gerechtigkeit verweist, die wir heute als Rache verstehen. Ein Gotteszeichen ließe sich glaubwürdiger argumentieren, wenn etwa Schweikhards Pferd seinen Herren unmittelbar vor dem Überfall an der Klosterpforte zu Tode getreten hätte. Die Zeichen sind offenbar ausgeblieben, als sie dringend benötigt wurden. Ob kausal unabhängige Ereignisse diesen Mangel im Nachhinein heilen können, mag jeder selbst entscheiden. 

Wenn wir an der Burgruine Rotund den höchsten Punkt des Weges erreicht haben, bedeutet das nicht, dass der weitere Weg komfortabel würde. Die Stundentafeln können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Charakter des Weges eher sportlich als beschaulich ist. Die Streckenführung erzwingt ein ständiges Auf und Ab, bei dem immer wieder auch steilere Abschnitte zu bewältigen sind. Was wir im Detail auf der Strecke zu erwarten haben, ist schwer einzuschätzen. Auf unserer gerade erst erstandenen Wanderkarte ist der Weg nämlich noch nicht verzeichnet. Immerhin gibt es eine durchgehende Kennzeichnungen, die in der Schweiz hervorragend sind, aber in ihrer Qualität abnehmen, je weiter wir uns dem Ziel nähern.

Im Einschnitt des Schlinigtals stehen wir an einer Verzweigung mit rot-weißen Wegmarken vor einem Rätsel. Kein Wegweiser klärt über die Richtung auf. Als wir uns der Ortschaft Schleis nähern, wird uns klar, dass wir uns für den falschen Weg entschieden haben. Nach mehr als vierstündiger, anstrengender Wanderung fehlt uns die Motivation zur Korrektur eines Fehlers, den wir schlampiger Wegmarkierung verdanken. Wir gehen über die Ortschaften Schleis, Laatsch und Glurns zurück zu unserer Ferienwohnung am Falatschhof, die wir nach 5,5 Stunden Gehzeit müde und etwas enttäuscht erreichen. Das entgangene Wegstück wollen wir bald nachholen.

Etappe am 5.07.2012

Fürstenburg bei Burgeis
 Das Wetter ist noch immer unsicher und darum für das Hochgebirge weniger geeignet. Die Wetterlage bietet sich für die Fortsetzung des noch unvollendeten Stundenweges an. Auf Buszubringer und Autotransport können wir mit sportlicher und zugleich ökologischer Haltung verzichten, indem wir heute unserer Unterkunft zum Start- und Zielpunkt des Restweges machen.

Von der Ortschaft Laatsch führt ein Zubringerweg zum Stundenweg. Erneut erleben wir missverständliche Markierungen und landen auf dem Radweg nach Burgeis. Dieses Ärgenis bereitet kein Problem. Wir drehen einfach die geplante Laufrichtung und steigen oberhalb von Burgeis ab Abtei Marienberg in unsere Schlussetappe ein.


Abtei Marienberg bei Burgeis
Vom Radweg zweigt ein steiler Pfad in Richtung Schlinig ab, der den Stundenweg kreuzt auf dem wir wenig später das Kloster Marienberg erreichen. Die in einer Hangmulde errichtete Abtei gilt mit 1.340 m Höhe als das höchstgelegene Benediktinerkloster Europas. Der Klosterbau wurde um das Jahr 1.150 begonnen und zog sich unter schwierigen Bedingungen über mehrere Jahrzehnte hin. Die nachfolgenden Jahrhunderte waren kaum einfacher.
Link: Wikipedia-Artikel zur Abtei Marienberg 









Blick auf Burgeis von der Abtei Marienberg
Nach einem Rundgang durch die Klosteranlage nehmen wir die gleich zweimal verfehlte Schlussetappe des Stundenweges erneut in Angriff. Inzwischen kennen wir die Klippen und gehen von der Abtei Marienberg ohne besondere Schwieigkeiten bis zur Abzweigung nach Laatsch.
Eine Beschreibung der Schwierigkeiten und Fallen, in die Ortsunkundige auf diesen Weg treffen, schicken wir am nächsten Tag per E-Mail an den Tourismusverband. Noch am gleichen Tag erhalten wir eine Antwort mit Dank für unsere Hinweise. Die dargestellten Sachverhalte habe man überprüft und könne die Irritationen nachvollziehen. Die Ursachen würden so schnell wie möglich abgestellt. 
Wir nehmen uns vor, im Sommer des nächsten Jahres die Ergebnis anzuschauen.


1 Kommentar:

  1. I think that you will need to put all these blogs into a book entitled "The Marathoner's Journeys"

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