Sonntag, 20. April 2014

Osterspaziergänge auf der Route der Industriekultur - Spuren des Bergbaus im Ruhrgebiet

Aufstieg von der Zeche Ewald zur Halde Hoheward
Der aktuelle Post ist ein Ausschnitt unseres kleinen Projektes der Spurensuche im Ruhrgebiet. Einen Blick auf den Stand des Projektes bietet der Post 'Exkursionen auf der Route der Industriekultur im Ruhrgebiet'.
Osterspaziergänge pflegen wir als private Tradition. Gespräche streifen unweigerlich Goethes Faust, dem wir uns in vieler Hinsicht verbunden fühlen. Aus dieser Perspektive treffen wir gerade im Ruhrgebiet permanent auf Zeugnisse faustischer Pakte von Menschen, die im Tausch gegen Reichtum und irdisches Glück dem Teufel ihre Seele verkauften. Beeindruckender sind Zeugnisse jener Menschen, die sich einem solchen Pakt verweigern und ihr Handeln an moralischen Prinzipien ausrichten. Bei genauerer Betrachtung ist im Ruhrgebiet auch diese Haltung zu finden.
Unser Osterspaziergang geht heute Spuren des Bergbaus im Ruhrgebiet nach. Von unseren 5 Programmpunkten liegen 3 Ziele in der Hügellandschaft von ca. 100 Abraumhalden des Bergbaus. Eine weitere Etappe führt uns zur Zeche Ewald in Herten, an der wir eine Pause einlegen. Unser Programm endet mit einem Abschnitt des Bochumer Bergbauwanderweges.

Auf der Haldenkarte des Portals Ruhrgebiet-Industriekultur sind einige für uns interessante Punkte vermerkt, von denen wir heute nur die Halden abarbeiten.



Tetraeder auf der Halde Beckstraße in Bottrop (ca. 45-60 Minuten Zeitbedarf) - Diashow der Fotoserie


Begehbarer Tetraeder auf der Halde Beckstraße in Bottrop
In Bottrop-Batenbrock liegt die 78 m hohe Halde Beckstraße (110 m über NN), auf der von 1963 - 1980 Abraum der Zeche Prosper aufgeschüttet wurde. (Die Schachtanlagen IV und V sind im Rahmen des Verbundbergwerks Prosper-Haniel bis heute aktiv.) Auf dem Plateau der Halde befindet sich seit 1994 mit dem Tetraeder eine bedeutende Landmarke des Ruhrgebietes, die von Wolfgang Christ als ein 50 m hohes pyramidenförmiges Stahlgerüst konzipiert wurde, das auf 8 m hohen Betonsäulen ruht.
Drei ringförmige Plattformen innerhalb des Gerüstes können auf schwebenden Treppen erreicht werden. Die Begehung erfordert ein wenig Abenteuerlust und Mut bzw. die Überwindung von Urinstinkten. Ein Ausblick mit phantastischem Panoroma des Ruhrgebietes belohnt den Mut. Bei guter Sicht reicht der Blick bis in das Bergische Land und in das Sauerland.



Blick von der Halde Beckstraße nach Westen
Obwohl sich in den vergangenen Jahrzehnten die Luftqualität im Ruhrgebiet erheblich verbessert hat, besteht heute keine klare Sicht. Westlich von Bottrop erhebt sich schemenhaft die Halde Haniel, unser nächstes Besuchsziel. Das markanteste Gebäude in der Sichtachse ist die katholische Pfarrkirche St. Joseph in Bottrop.












Halde Haniel in Bottrop (ca. 1,5 - 2 Stunden Zeitbedarf) - Diashow der Fotoserie


Installation Totems (2002/2007) von Agustín Ibarrola
Den Besuch der Halde Haniel an der Grenze zwischen den Städten Bottrop und Oberhausen werten wir als herausragendes Highlight einer insgesamt spannenden Exkursion. Mit einer Höhe von 159 m (184,9 m über NN) betreten wir eine der höchsten Halden des Ruhrgebietes. Für uns völlig unerwartet vermittelt die Begehung dieser Halde starke, nachhaltig wirkende Eindrücke. 










Infotafel zum Kreuzweg an der Halde Haniel in Bottrop
Dank des informativen Portals über Halden des Ruhrgebietes verschaffen wir uns vorab ein Bild über die Halde Haniel und entscheiden uns für den 'Pilgerpfad' als Aufstiegsroute auf die Halde. Der 'Pilgerpfad' wurde 1995 von der Künstlerin und Ordensfrau Tisa von der Schulenburg in Zusammenarbeit mit dem Oberhausener Künstler Adolf Radecki und Auszubildenden des Bergwerks Prosper-Haniel als Kreuzweg und Bergbaulehrpfad geschaffen. Beteiligt waren Management und Mitarbeiter der Zeche Prosper-Haniel, Kirchengemeinden und Verbände. Im Unterschied zum Oberhausener Künstler Adolf Radecki finden wir im Internet über die Biographie der faszinierenden Person Tisa von der Schulenburg zahlreiche Informationen. Im thematischen Zentrum ihrer Arbeiten stehen Leben, Leiden und Elend von Industriearbeitern, Arbeitslosen, Hungernden, Verfolgten, Flüchtenden. In einem überlieferten Zitat bekennt sie: „Wenn es eine Gegend gab, die mich anzog, dann war es […] das Ruhrgebiet.“


Station III des Kreuzwegs auf die Halde Haniel
Die 15 Stationen des 'Pilgerpfads' auf den Gipfel gehen über religiöse Andachtsübungen weit hinaus. Sie fokussieren existenzielle Lebenssituationen und stellen Verbindungen her zwischen dem Leiden Christi und Arbeitsbedingungen von Bergleuten im Ruhrgebiet. Jede Station stellt neben einem Werkstück aus der Welt des Bergbaus eine Szene des Passionsweges auf einer Kupferplatte dar. Aufgestellt sind die Kupferplatten in Holzrahmen, die Fördergerüste des Bergbaus nachbilden.
Im Original hat Tisa von der Schulenburg ihre ausdrucksstarken Szenen in der Technik von Rohrfederzeichnungen ausgeführt, die anschließend in Kupferplatten geätzt wurden.




 

Station III des Kreuzwegs
Station XI des Kreuzwegs
Station VIII des Kreuzwegs


Kreuz der Station XII auf dem Plateau der Halde Haniel
Anlässlich des Papstbesuchs von Johannes Paul II. in Deutschland haben Auszubildende und Ausbilder des Bergwerks Prosper-Haniel für die Messe am 2. Mai 1987 im Gelsenkirchener Parkstadion ein 15 m hohes Kreuz aus Grubenholz gefertigt. 1992 erhält das Kreuz einen Platz auf dem damals noch höchsten Punkt der Halde Haniel. Mit Errichtung des Kreuzweges bildet das Kreuz die XII. Station. Ein am Kreuz aufgestellter Altartisch ruht auf einer typischen Güterlore des Bergbaus. Seit 20 Jahren findet karfreitags eine regional bedeutende Kreuzweg-Prozession auf die Halde Haniel statt. Trotz kühlem und windigem Wetter verzeichnet die Veranstaltung vom 18.04.2014 mehr als 1000 Teilnehmer.






Installation Totems und Amphitheater auf der Halde Haniel
Aufgrund von Aufschüttungen hat die Halde Haniel inzwischen weitere 20 m Höhe gewonnen. Auf dem aktuellen Gipfel erwartet uns mit der Installation 'Totems' des baskischen Malers und Bildhauers Agustín Ibarrola ein weiterer Höhepunkte der Kulturroute. Die Installation besteht aus 105 farbig bemalten Eisenbahnschwellen, die nach dem Willen ihres Schöpfers eine archaische Kraft des Ursprünglichen darstellen. Akustischer Klang ist für Agustín Ibarrola ein Element dieser Kraft. Der Bottroper Werner Worschech untersuchte die klanglichen Qualitäten der Ibarrola-Stelen. Ungeachtet der Ergebnisse empfinden wir eine faszinierende archaisch-magisch anmutende Qualität dieser Installation.






Amphitheater auf der Halde Haniel
Unterhalb des Haldengipfels schauen wir nach Norden auf ein Becken, in dem seit 1999 ein Amphitheater mit 800 Sitzplätzen angelegt ist. In den Sommermonaten finden in der 'Bergarena' kulturelle Openair-Veranstaltungen statt. 












Halde Schöttelheide
Vom nördlichen Plateaurand der Halde Haniel blicken wir auf die Landschaft der Halde Schöttelheide, die noch aufgeschüttet wird und darum vorerst für Besuch unzugänglich ist. Die Halde wird aber bereits in der Gegenwart für eine Freizeitnutzung in der Zukunft vorbereitet.











Zeche Ewald und Halde Hoheward in Herten (ca. 1,5 - 2 Stunden Zeitbedarf) - Diashow der Fotoserie


Zeche Ewald
Das Bergwerk der Zeche Ewald in Herten förderte von 1877 bis 2000 Steinkohle aus insgesamt 7 Schachtanlagen, von denen 3 im zentralen Betriebsgelände zugänglich sind. Über Schacht 1 ist ein inzwischen denkmalgeschützter Malakow-Turm erhalten. Die offenen Fördergerüste befinden sich über den Schächten 2 und Schacht 7.
Für Betriebsgelände und Gebäude der ehemaligen Zeche konnten vielfältige neue Nutzungskonzepte angesiedelt werden. Zeche Ewald bildet mittlerweile einen Ankerpunkt der Route Industriekultur, an dem sich der Strukturwandel im Ruhrgebiet exemplarisch nachvollziehen lässt. Zum richtigen Zeitpunkt lädt uns ein Biergarten im Zechengelände zu einer Pause ein.






Treppenanlage zur Ewald-Empore
In unmittelbarer Nachbarschaft des Zechengeländes erhebt sich die aus 180 Millionen Tonnen Bergmaterial mehrerer Schachtanlagen entstandene Großhalde Hoheward ca. 100 m über ihre Umgebung (152 m ü. NN). Einer von mehreren Zugängen auf die Halde beginnt am Zechengelände. Für einen Aufstieg auf die Halde haben Besucher die Wahl zwischen einer Treppenanlage mit Balkonen und einem flacheren Serpentinenweg. Wir entscheiden uns für den Treppenaufstieg über die Ewald-Empore. Eine noch imposantere Treppenanlage bietet ab dem Salentinplatz in Recklinghausen die 'Himmelsstiege' mit 529 Stufen.







Obelisk und Horizontalobservatorium der Halde Hoheward
Im unteren Bereich kann die gesamte Halde auf der 6 km langen Balkonpromenade umrundet werden. Spannender ist jedoch der Aufstieg auf das Haldenplateau, das als astronomischer Park konzipiert ist und Besuchern zwei großen astronomische Installationen präsentiert.











Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward
Auf dem höchsten Punkt der Halde Hoheward ist ein Horizontobservatorium aufgebaut. Die Webseite des Vereins Horizontastronomie im Ruhrgebiet beschreibt fachkundig die Bedeutung von Horizontastronomie und erläutert die uralte Kulturtechnik. Wunderschöne Fotos und Animationen bietet Rainer Sparenbergs Webseite über 'Astrophotography'.
2008 wurde die Anlage eröffnet. Zwei Stahlrohrbögen mit einem Radius von ca. 45 m überspannen eine Kreisfläche mit 88 m Durchmesser. Die Bögen bilden Meridian und Himmelsäquator nach. Im Zentrum der Anlage könnten Besucher mit Hilfe von Peilmarken astronomische Beobachtungen nachvollziehen, wenn sie nicht vor Bauzäune laufen würden. Bereits kurz nach der Einweihung der Anlage wurden Risse im Äquatorbogen festgestellt, die Stützen notwendig machten. Aus Sicherheitsgründen musste der Innenraum der Anlage für Besucher gesperrt werden. Bis heute können Bauherr und Baufirma sich nicht über die Frage einigen, ob das Problem von Planungsfehlern oder von Materialschäden verursacht ist.

Horizontalsonnenuhr auf der Halde Hoheward
Auf dem südlichen Plateau der Halde Hohward ist eine Horizontalsonnenuhr installiert. Innerhalb einer Fläche mit einem Durchmesser von 62 m wirft ein 8,50 m hoher Edelstahl-Obelisk seinen Schatten auf die mit hellen und schwarzen Pflastersteinen präzise strukturierte Fläche und wirkt so als Zeiger einer Sonnenuhr. Während wir uns an der gebräuchlichen Zonenzeit orientieren, zeigt die Sonnenuhr die Wahre Ortszeit (WOZ) an. Vorbild dieser Sonnenuhr ist das Solarium Augusti, das auf dem Marsfeld in Rom unter Kaiser Augustus errichtet wurde.
Bei guter Sicht reicht der Blick über weite Teile des Ruhrgebietes. Dieses Panorama ist uns heute nicht vergönnt.






Wanderung auf dem Bochumer Bergbauwanderweg (2,25 Stunden Zeitbedarf für unsere Strecke) - Diashow der Fotoserie


Maschinenhaus der Zeche Klosterbusch im Lottental
Der Bochumer Bergbauwanderweg verbindet nicht nur Orte der Bergbaugeschichte im Ruhrtal, er führt auch zu Orten der eigenen Biographie. Während des Studiums an der Ruhr-Universität Bochum lag der Wohnsitz über 2 Jahre im hübschen und nahezu ländlichen Bochumer Ortsteil Stiepel. Der Fußweg zwischen Wohnsitz und Uni führte durch das dünn besiedelte grüne Lottental, in dem im 19. und frühen 20. Jahrhundert mehrere Kleinzechen Steinkohle förderten und ihre Schachtanlagen im Lottenbach entwässerten.
Wir parken unser Auto bei der ehemaligen Zeche Klosterbusch im unteren Lottental und finden auch bald den Einstieg in unsere Wanderroute.  






Abzweigung der Haarstraße vom Lottental
Aufgrund der bereits fortgeschrittenen Tageszeit wollen wir nur den südlichen Tal des 15 km langen Bochumer Bergbauwanderweg durch das Ruhrtal wandern und biegen auf der 'Haarstraße' in Richtung Stiepel ab.
Ohne Wanderkarte oder Stadtplan sind wir allein auf Wegmarkierungen und Erinnerungen angewiesen. Wir wissen, dass Erinnerungen nicht besonders zuverlässig arbeiten und verlassen uns daher primär auf Wegmarkierungen, die sich jedoch ebenfalls als unzuverlässig erweisen. Wir treffen nur selten auf Markierungen und orientieren uns am Einschnitt des Ruhrtals. Letzten Endes landen wir viel zu weit westlich jenseits des Kemnader Sees an der Ruhr, was im Ergebnis eine deutlich längere Strecke erfordert, als wir sie vorgesehen haben.





Kemnader See
Auf der 'Route der Industriekultur' zählt der Kemnader See zu den ausgewiesenen Themenrouten. Der Kemnader See entstand erst 1979 als jüngster Stausee der Ruhr und hat sich seitdem zu einem beliebten Freizeitzentrum entwickelt, an und auf dem heute halb Bochum unterwegs zu sein scheint. Füßgänger, Radfahrer und Skater nutzen jeweils eigene Wege und kommen sich daher nur selten ins Gehege. Am See liegen mehrere offenkundig beliebte Restaurationen.
Namensgebend für den See ist das Wasserschloss Haus Kemnade in Hattingen-Blankenstein







Stollenmundloch der Zeche Gibraltar
Am westlichen Ufer liegt die ehemalige Zeche Gibraltar Erbstollen, in der von 1786 - 1925 Steinkohle gefördert wurde. Die Betriebsgebäude der Zeche sind bis heute erhalten und sind seit Stillegung der Zeche unterschiedlichen Nutzungen gewidmet.











 
Blick auf Gebäude der Ruhr-Universität Bochum
Auf dem Rückweg zum Lottental blicken wir über blühende Rapsfelder auf Gebäude der Ruhr-Universität Bochum und beenden unseren heute etwas längeren Osterspaziergang durchaus müde, aber gleichzeitig auch inspiriert und motiviert für Fortsetzungen der Exkursionen.     
      

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